To Lee or Not to Lee 🤔🤫

Stan Lee, der Schöpfer des Marvel Universums. Aber war er es wirklich? Hat das allseits und überall bekannte Gesicht von Marvel, populäres Synonym für Superhelden schlechthin, wirklich all die Charaktere im Alleingang aus dem Ärmel geschüttelt? Vermutlich nicht. Jedenfalls glaube ich es nicht.
The Promise
Wie viele andere Comicfans meiner Generation wuchs ich mit Spider-Man, den Fantastic Four und den Avengers auf. In den Siebzigern gehörte ich damals zu einer Minderheit und war der klassische Nerd, obwohl wir diesen Begriff damals gar nicht kannten. Als Comicsammler warst du einfach ein Sonderling und hattest Glück, wenn du in deiner Umgebung Gleichgesinnte fandest.
Bereits in dieser frühen Phase meiner Comicsammler-Karriere machte ich Bekanntschaft mit den kreativen Köpfen hinter den Marvel Superhelden, allen voran Stan Lee und Jack Kirby. Und es hiess immer Lee & Kirby, nicht Kirby & Lee. Auch nicht Ditko & Lee, sondern Stan Lee & Steve Ditko. Stan «The Man», wie es salopp in den Credits hiess.
Zugegeben, damals wusste ich es nicht besser und nahm alles als in Stein gemeisselt hin. Stan Lee war die treibende Kraft hinter den Comics, er schrieb die Geschichten, die dann fleissige Zeichner nach seinen Angaben aufs Papier brachten. Falsch. Doch das fand ich erst viele Jahre später heraus, als ich Zugang zu Fachliteratur und Zeitschriften hatte, als das Internet aufkam und die Informationen schneller flossen.
The Presentation
Um zu verstehen, dass Stan Lee schon immer zuviel Lorbeeren einheimste, muss man wissen, was die sogenannte Marvel Method ist. Das war eine Arbeitsweise im kreativen Prozess der Comicherstellung, die es ermöglichte, möglichst rasch, speditiv und dementsprechend kostengünstig Comics zu produzieren. Bei dieser Methode legten Autor und Zeichner (also zum Beispiel Lee und Kirby) eine vage Storyline fest. Die konnte dann durchaus so banal lauten wie: «Die Fantastic Four treffen auf einen neuen Superschurken, der stärker ist, als alles bisher dagewesene. Sie werden fast besiegt, doch zum Schluss gelingt es Reed Richards mithilfe eines technischen Gimmicks den Schurken zu besiegen.»
Und jetzt tritt Kirby in Aktion und zeichnet 20 Seiten Comics, voller Randnotizen, die zum Teil komplett ausgestaltete Dialoge sind. Jetzt kommt Stan Lee zum Zug, ignoriert den Grossteil von Kirbys Notizen und schreibt eigene Dialoge in die Sprechblasen, womit er meist eine komplett andere Geschichte erzählt, die Kirby eigentlich haben wollte. Und das Verrückte an der Sache ist, dass es aufgeht! Bei dieser Zusammenarbeit kommen die besten Comicgeschichten zustande!
Was folgern wir daraus? Zum einen steht ausser Zweifel, dass Kirby zu wenig gewürdigt wird. Man hat den Eindruck, Stan Lee hätte alles aus dem Ärmel geschüttelt und Kirby „nur“ die Zeichnungen beigetragen. Und diesen Eindruck hat Marvel immer wieder gepflegt, gehegt und proklamiert. Man könnte ketzerisch auch behaupten, Jack Kirby hätte alles aus dem Ärmel geschüttelt und Stan Lee hätte nur die Dialoge beigetragen. Man kann’s drehen und wenden wie man will, letztendlich zog Kirby den Kürzeren, obwohl mehr als 50% des kreativen Herstellungsprozesses auf seinen Schultern ruhte.
The Prestige
Dass Kirby ohne einen guten Dialogschreiber zum Untergang verurteilt war, sah man spätestens in den Siebziger Jahren, als sowohl seine Fourth World Saga als auch seine Captain America Comics und Eternals, sowie andere kurzlebige Serien eingestellt wurden. Kirby war ein grossartiger Geschichtenerzähler – einer der besten! – in Bildern. Er brauchte immer auch einen grossartigen Dialogschreiber – wie Stan Lee, der mit seiner einzigartigen mal jovialen, mal schnoddrigen und auch schon mal pseudo-Shakespearischen Sätzen die Marvel Comics so einzigartig machte.
Kein Kirby ohne Lee – kein Lee ohne Kirby. Jedenfalls nicht bei Marvel in den frühen Schöpfungsjahren. Nur die einzigartige Kombination dieser beiden Comiclegenden konnte uns solch gewaltige Geschichten wie die der Fantastic Four, der Avengers und Thor präsentieren. Nur die Symbiose von Kirbys unerschöpflichen Bildfantasien mit Lees Wortgewandtheit machte es möglich. Und dabei übertrieb es «The Man» schon immer wieder gerne, heimste den Grossteil der Lorbeeren für sich ein, obwohl dieser dem «King of Comics» zugestanden wäre.
Kleiner Nachtrag zum Schluss zur «Marvel Method». Damals wurden Autoren und Zeichner pro Seite bezahlt. Müssig zu erwähnen, dass Kirby «nur» für seine gezeichneten Seiten bezahlt wurde, obwohl er die Stories praktisch auch im Alleingang schrieb. Es gab übrigens auch Zeichner, die sich deshalb vehement gegen die «Marvel Method» wehrten, weil sie wussten, dass der Verlag damit die Autorenhonorare sozusagen unter den Tisch wischte.
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